Es erscheint doch zunächst recht einfach: Lösungen für eine Reduzierung des Energieverbrauchs erreichen wir mit gesundem Menschenverstand. Heizung runter, etwas kürzer duschen, vielleicht noch das nicht benötigte Licht doch etwas gewissenhafter ausschalten … Allerdings hat der gesunde Menschenverstand schnell seine Grenzen erreicht. Einerseits weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist, andererseits weil wir gerade im Unternehmensbereich schnell an eine Wissensgrenze stoßen.

Um diese zu durchbrechen, bedarf es verschiedener Fähigkeiten: Neugier, Interesse und ein klares Ziel gehören dazu, aber auch eine erprobte Vorgehensweise, ein Leitfaden. Schließlich zielen wir im Unternehmenskontext auf eine Veränderung der Gewohnheiten vieler Mitarbeiter und es lässt sich nicht voraussetzen, dass sie alle die gleichen Vorstellungen, Wünsche und Ziele haben. Dabei ist es geradezu verlockend, die eigenen Ideen zum Einsparen von Strom, Gas, Dampf, Druckluft und Wärme direkt als die eine Lösung anzusehen. Doch es lohnt sich mehr, systematisch vorzugehen!

Statt einfach loszulegen und nur das, was unmittelbar auffällt, in Betracht zu ziehen, lohnt es sich, die Herausforderung systemisch anzugehen: Analyse statt Aktionismus.

Im Lean Management finden sich verschiedene methodische Hebel, um strukturiert und systemisch auf die Reduzierung der Energiebedarfe einzuwirken. Mit einer Problemanalyse beispielsweise lässt sich gut das sogenannte Big Picture zeichnen und der komplette Umfang von Möglichkeiten im Unternehmen wird ersichtlich. Je besser das Verständnis des Problems, desto höher die Chancen, umfassende Lösungen zu finden.

Zu kurz gegriffene Aktionen beschwichtigen zwar die Gemüter, reizen aber nicht die vollen Potentiale der Situation aus.

Gerade in der Philosophie von Lean Management gilt es, so viel „Muda“ (unnötiger Aufwand) wie möglich im System auszuradieren. Dafür bedarf es eines systemischen Ansatzes, bei dem die Belegschaft als einer der größten Hebel in der Wirksamkeit von Veränderungen im Mittelpunkt steht. Daher muss auf die Befähigung der Mitarbeiter großer Wert gelegt werden. Denn alle gemeinsam sollen etwas in Bewegung setzen! Alle Mitarbeiter verbrauchen Energie und haben die Möglichkeit, diesen Verbrauch zu beeinflussen oder zumindest zu erkennen.

Unterschätzen Sie nicht den gesammelten Effekt kleiner Einsparungen!

Was aus Sicht der Energienutzung als „Muda“ eingestuft werden kann, ist aber nur zum Teil intuitiv. Denn sehr häufig unterschätzen Unternehmen den gesammelten Effekt von kleinen Einsparungen. Auch das eine Prozent Verbrauchsreduzierung geht zum einen in die richtige Richtung, zum anderen löst es häufig weitere Ideen aus. Das Einsparen von Energie wird dadurch leichter, da auch kleinere Schritte einen Erfolg darstellen.

Das ist im Lean Management der Grundsatz der kontinuierlichen Verbesserung (KVP). Schritt für Schritt erkennen, was die nächste Maßnahme zur Einsparung sein kann und was benötigt wird, um weitere Energieverbräuche zu reduzieren. Die stetigen Schrittfolgen führen nach und nach zur Gewohnheit. Das ist auch der Kerngedanke von KVP als Grundkonzept.

Ein Energie-Kaizen ist eine wirksame Methode um den Verbrauch von Kilowattstunden zu senken.

Eine weitere umfassende Möglichkeit, um mit Lean Management auf den Kilowattstundenverbrauch einzuwirken, besteht in der Form eines Energie-Kaizen. Im englischen Sprachraum hat sich dafür der Begriff „Energy Treasure Hunt“ etabliert. In dieser dynamischen Workshop-Form werden alle Energieverbräuche im Unternehmen genauestens untersucht und kreative Einsparungspotentiale erarbeitet. Mitarbeiter aus allen Bereichen werden durch Fachexperten unterstützt oder erhalten notwendige Messtechnik und Schulungen. Durch den strukturierten, von einem Kaizen-Leiter moderierten Prozess werden sie zum Erfolg geführt. Die einzelnen Teams laufen in einem Obeya-Modus mit kurzfristigen Iterationen und Abstimmungen. Dabei generieren sie Ideen und kalkulieren Investitionskosten für Lösungen sowie die zu erwartenden Einsparpotentiale.

Während eines solchen Energy Treasure Hunt wird ein Aktionsplan zusammengestellt. In traditioneller Kaizen-Manier werden gute Ideen, die sich zügig umsetzen lassen, direkt realisiert. Je früher Verbesserungen eingespielt werden, desto früher treten die positiven Effekte ein. Es entsteht eine Umsetzungsdynamik und ein deutliches Signal wird an die Organisation gesendet. Energieeinsparungen werden ernst genommen!

Lean Management bietet viele Methoden, um das Thema Energieverbrauch im Unternehmen anzugehen.

Es existieren andere Lean Tools, die für den Umgang mit Energiethemen in dem heutigen sehr volatilen Umfeld eine Unterstützung bieten. Ein wesentliches Problem für die meisten Unternehmen ist die Unvorhersehbarkeit, was geschehen kann. Um dem entgegenzuwirken, lassen sich verschiedene Szenarien denken: mögliche Kausalitäten sowie deren Auswirkungen. Mit der Failure Modes and Effects Analysis (FMEA) werden diese potentiellen Energiewirkungen erfasst und anhand einer Priorisierungslogik bewertet. Dieses Vorgehen befähigt die Organisation, auf eine sich schnell verändernde Situation zügig und kompetent zu reagieren.

Mit FMEA lassen sich potentielle Energiewirkungen erfassen bewerten.

Eine mögliche Handlung aus dem FMEA-Prozess kann auch die Entwicklung von einem „Out of Control Action Plan“ (OCAP) sein. Ein OCAP definiert die Vorgehensweise beim Eintritt von bestimmten Szenarien. Damit gewinnt die Organisation an Reaktionsgeschwindigkeit und Sicherheit. Hierfür ist auch eine Kombination mit einem Frühwarnsystem für bestimmte Ereignisse sinnvoll. Dazu zählen klassischerweise Leading KPI. Doch im produzierenden Umfeld lässt sich sogar noch früher ansetzen als bei einem Ergebnis: So können beispielsweise mit dem Andon-Prinzip mögliche Ursachen für Veränderungen im Blick behalten werden, um dann bei der Überschreitung von Schwellenwerten die in dem OCAP definierten Aktivitäten ohne Verzögerungen einzuleiten.

Jetzt handeln, denn die steigenden Energiepreise stellen schnell die Rentabilität der Produktion in Frage.

Im Methodenkoffer von Lean Management befinden sich noch weitere Werkzeuge, die einen Hebel für die Energieeffizienz in Unternehmen bieten. Ein Themenfeld, dem Unternehmen im aktuellen Kontext der Gaskrise eine neue Priorität einräumen müssen. Die Dringlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, da ein zu hoher Energieverbrauch bei steigenden Energiepreisen die Rentabilität der eigenen Produktion in Frage stellt. Es heißt daher, den Verbrauch von Kilowattstunden deutlich zu reduzieren. In vielen Fällen schlummern in Unternehmen etliche Potentiale, die sich zu diesem Zweck durch Lean Management identifizieren und heben lassen!