Als Antwort auf verschiedene Kundenrückmeldungen (explizit oder implizit aufgrund fallender Umsätze und Margen) fungierte Six Sigma als Qualitätsinitiative.
Sie sollte flächendeckend zum Einsatz kommen und die Unternehmenskultur auf Qualität trimmen. Die Entwicklungsmotivationen, die sich hinter Lean Management und Six Sigma verbergen, sind durchaus unterschiedlich (Lean Management vs. Six Sigma). Die Zielabsichten beider Methoden zeigen allerdings in dieselbe Richtung. Sowohl Lean als auch Six Sigma zielen mit Qualitätsverbesserungen von Produkten oder Dienstleistungen auf steigende Effizienz und Kundenzufriedenheit ab.
Six Sigma auf neuer Stufe
Auch General Electric (GE) übernahm das Six-Sigma-Konzept von Motorola und entwickelte es weiter. Bis ins neue Jahrhundert war Six Sigma DIE Qualitätsmethodik von GE. Mit ihrem Einsatz sollten diverse Unternehmensbereiche und -funktionen qualitativ verbessert werden. Und zwar deutlich! Neben einem stringenten Projektmanagement-Ethos entwickelte sich eine firmenweite Qualitätskultur, die sehr aktiv von CEO Jack Welch gefördert und gefordert wurde. Führungskräfte mussten eine Six-Sigma-Qualifikation erlangen, bevor sie in der Organisation neue Aufgaben übernehmen konnten. Es sind die bekannten „Yellow“, „Green“ und „Black Belt“ (Gürtel) oder auch der „Master Black Belt“. Dieses System war fest im jährlichen Beurteilungssystem von GE verankert und hatte Auswirkungen auf die Besetzung leitender Positionen von Führungskräften, Schulungsmaßnahmen und vieles mehr. Obwohl die Methode nicht erst in den Kinderschuhen steckte, hob General Electric Six Sigma auf eine neue Stufe und verhalf ihr zum Durchbruch.
Systematischer Methodeneinsatz fördert Entwicklungspotential
Im 21. Jahrhundert erweiterte GE ihre Qualitätsmethodik um Lean Management. War Six Sigma damit gestorben? Beide Methoden verfolgen dieselben Ziele: Qualität und Kundenzufriedenheit steigern, die Organisation effizienter gestalten. Wieso nutzen wir dann nicht nur eine der Methoden? Können Lean und Six Sigma nebeneinander existieren und sich ergänzen?
Vielleicht sollten wir zunächst eine andere Frage beantworten: Wieso setzen wir überhaupt eine Methodik ein? Die einfache Antwort ist: Die Optimierung innerhalb einer Organisation ist limitiert durch verschiedene Faktoren. Ohne eine methodische Vorgehensweise erleben Firmen ein Stück weit Optimierungen, begrenzt durch die verfügbare Zeit und Fähigkeiten der Führungskräfte. Ein systematischer Methodeneinsatz erweitert diese Grenzen und fördert das Entwicklungspotential. Operational-Excellence-Methoden (OpEx), zu denen sowohl Lean als auch Six Sigma gehören, aktivieren die gesamte Organisation und befähigen sie zu einer lösungsorientierten und effizienten Entwicklung.
„Zahlen – Daten – Fakten“
Six Sigma ist ein rigoroses Projektmanagement-Instrument. Zum einen sind dafür die Art und Weise von Projektausführungen kennzeichnend und zum anderen die Inhalte, insbesondere „Zahlen – Daten – Fakten“, die behandelt und integriert werden. Gerade diese Berücksichtigung von Daten als Grundlage für fundierte Management-Entscheidungen zeichnet Six Sigma aus. Auch heute! In den letzten Jahren reduzierten sich die Kosten für die Sammlung, Speicherung und Verarbeitung von Daten erheblich. Heutige Tabellenkalkulationsprogramme können eine Vielzahl von Funktionen mehr ausüben als noch vor 10 Jahren. Diese Entwicklung lässt sich in vielen Bereichen der Datenverarbeitung beobachten und führt zu einem gigantischen Datenpool. Wir schwimmen oft in diesen Daten und nutzen sie entweder gar nicht oder unstrukturiert.
Die Datenlage kommt Unternehmen, die Six Sigma anwenden, zugute. Im Rahmen von Six Sigma steht vor allem die Qualität aus Kundensicht im Fokus. Alles wird auf Basis des Kundennutzens bewertet. Und genau hier findet ein Six-Sigma-Projekt seinen Anfang. Die genaue Beschreibung von Kundenerwartungen hinsichtlich der Qualität – „critical to quality‘‘ (CTQ) genannt.
In der ersten Phase, „Define“, werden die Projektgrundlagen inklusive Zielsetzung festgelegt. Hier beginnt der für Six Sigma charakteristische DMAIC-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Improve, Control).
Messsystemanalyse für die Datenkraft
Six Sigma wird oft als Synonym für Statistiken benutzt. Das wird der Methodik aber bei weitem nicht gerecht, was sich ganz einfach anhand der zweiten DMAIC-Phase („Measure“) illustrieren lässt. Geschäftsprobleme werden zunächst in einem Datenmodell beschrieben und entsprechende Daten gesammelt (zum Beispiel „unsere Liefertreue ist zu niedrig“ = Tage/Stunden/Minuten, in denen wir von dem erwarteten Liefertermin abweichen). Das ist unser „Projekt Y“ beziehungsweise das Ergebnis des zu untersuchenden Prozesses.
Statistische Auswertungen erfolgen aber erst nach einer tiefgreifenden Prüfung der benötigten Messfähigkeit. Hierbei lautet die Kernfrage: Bilden meine Daten eine solide Basis für anschließende Schlussfolgerungen und Entscheidungen? Wenn keine Messsystemanalyse (MSA) unternommen wurde, kann eine Statistik leicht in die Irre führen. Die MSA prüft die Herkunft und Aussagefähigkeit der Daten. Sind es überhaupt die erforderlichen Daten? Geben sie inhaltlich das wieder, was der Name vermuten lässt? Oft erleben wir, dass IT-Systeme Datensätze mit Namen versehen, die den eigentlichen Prozessablauf aus Kundensicht gar nicht wahrheitsgetreu wiedergeben … und das wird leider allzu oft nicht hinterfragt.
Six Sigma fordert einen dazu auf, gängige Annahmen über das eigene Geschäft zu hinterfragen.
Der Faktor Mensch im Vordergrund
Ein Beispiel: Im telefonischen Kundendienst werden bestimmte Zeitpunkte systemisch markiert: sobald ein Anruf von einem Mitarbeiter beantwortet wird und auch das Gesprächsende. Um jedoch die eigentlichen Kundenerfahrungen zu erkennen, sind solche Datensätze nicht ausreichend. Vielmehr stehen die individuellen Kundenerlebnisse im Vordergrund. Wie lange wartet ein Kunde mit seinem Anruf? Wie lange beschäftigt sich ein Kunde mit der Menüführung, bis er vielleicht erneut anruft? Wie kundenfreundlich oder irritierend ist die Menüführung?
Wenn wir die vorhandenen Daten hinterfragen, stellen wir häufig fest, dass sie nicht unbedingt die erforderlichen Bedarfe abbilden. Dementsprechend wären die darauf basierenden Entscheidungen hinfällig und der Arbeitsaufwand entsprechend umsonst.
Statistik bringt eine nüchterne Objektivität
Erst nach der Sicherstellung qualitativ sinnvoller Daten beginnt die Analyse des DMAIC-Prozesses. Die in der Measure-Phase gesammelten und geprüften Daten werden jetzt statistisch analysiert. Die Besonderheit: Der Faktor Mensch wird nicht ignoriert. Gleichzeitig arbeiten die Prozessteilnehmer in Workshops aktiv an den Problemen. Die Statistik bringt eine nüchterne Objektivität in das Projekt. Auf Basis der Analyse werden Kernursachen für die Prozessergebnisse identifiziert.
Mit dem Wissen, welche Ursachen die größten Auswirkungen auf das Prozessergebnis haben, geht es mit der Improve-Phase weiter. Hier werden die Verbesserungen ausgearbeitet, eventuell Experimente oder Pilotlösungen getestet und die besten Lösungen im Livebetrieb umgesetzt. Stets werden Auswertungen unternommen, um die erfolgversprechende Antwort für das Problem auszuloten. Die Umsetzung erfolgt dann als klassische Projektmanagement-Aufgabe.
Vertraue ist gut, Kontrolle ist besser
Trotz der betrieblichen Umsetzung guter Lösungen sind viele Prozessoptimierungen zum Scheitern verurteilt. Denn sobald sich die verantwortlichen Projektmanager und/oder Führungskräfte anderen Aufgaben widmen, verfallen Arbeitsweisen in alte Gewohnheiten. Veränderungen bleiben nicht haften. In einem Six-Sigma-Projekt ist die letzte Phase die wohl wichtigste Phase. Denn Umsetzung allein bringt nicht weiter, deshalb muss sie verankert werden. Die Control-Phase sichert die Einbettung der Projektergebnisse in den betrieblichen Ablauf. Auch hier werden statistische Auswertungen und Abbildungen in den Alltagsbetrieb integriert, um die identifizierten Kernursachen im Blick zu halten. Wer die Kernursachen eines Prozesses kennt und kontrolliert, erhält ein Frühwarnsystem für die Ergebnisse seines Prozesses. Der DMAIC-Zyklus sichert die Zukunft.
Six-Sigma-Projekte bedürfen etwas Zeit und Geduld, bieten aber Lösungen für komplexere Probleme, wo die Erfahrungen der Mitarbeiter allein nicht ausreichen, um einen Qualitätssprung zu erzielen. Six Sigma ist eine starke Methode, durch die undurchsichtige Problemstellungen systematisch, strukturiert und datenbasiert lösbar werden. Daher ist es auch eine wunderbare Ergänzung zu Lean Management. Schließlich gehen auch die besten Sportmannschaften nicht nur mit einem Spielzug in den Wettbewerb.
Lang lebe Six Sigma.