Überblick
In der Praxis der Projekt- und Maßnahmenumsetzung kommen häufig eine Vielzahl von Aufgaben, Ideen und Initiativen vor, die sich in Entwicklungs- bzw. Umsetzungsgrad stark unterscheiden. Um hier Klarheit, Struktur und Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, bietet sich die Einteilung in sogenannte Härtegrade an.
Härtegrade verleihen konkreten Aufgaben, die sich hinter abstrakten Themen verbergen, eine Messbarkeit. Sie sind somit Likert-Skalen im Unternehmens- bzw. Lean-Management-Kontext.
Härtegrade im Rahmen des Lean Managements können beispielsweise von Projektmanagern, Werkleitern oder Geschäftsführern als Maß genutzt werden, um es transparent und nachverfolgbar, d. h. steuerbar, zu machen, ob sich eine einzelne Maßnahme erst im Ideenstadium befindet oder ob es bereits nach Umsetzung eine vom Controlling ausweisbare, mit positiven finanziellen Effekten einhergehende Wirkung gibt.
Der Härtegrad ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff des Reifegrads, der in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird, um den Entwicklungsstand eines Systems, Prozesses, Produkts oder einer Organisation zu bewerten.
Konzept
Beim Konzept der Härtegrade handelt es sich um einen Strukturierungsansatz für den Umsetzungsgrad von Aufgaben und Ideen, d. h. um den Versuch, nicht im klassischen Sinne messbare Dinge messbar zu machen.
Auf der Suche nach einem Weg, Einstellungen von Personen zu quantifizieren, entwickelte Rensis Likert (1903–1981, US-amerikanischer Sozialforscher) die nach ihm benannten Likert-Skalen, welche aus mehreren Aussagen oder Fragen bestehen, denen die Befragten auf einer vorgegebenen mehrstufigen Antwortskala mehr oder weniger stark zustimmen oder die sie ablehnen können. Die Punktwerte der einzelnen Antworten werden addiert und ergeben so den Wert der Skala.
So kann beispielsweise die Aussage „Unfälle zwischen SUVs und Fußgängern führen bei den Fußgängern tendenziell zu schwereren Verletzungen als Zusammenstöße von konventionellen Pkws mit Fußgängern“ mit den möglichen Antworten (bzw. den jeweils zugeordneten Punktwerten) „trifft zu (1), trifft eher zu (2), teils, teils (3), trifft eher nicht zu (4), trifft nicht zu (5)“ beantwortet werden.
Härtegrade funktionieren analog zu diesen Likert-Skalen. Der Zustand einer Maßnahme im Hinblick auf ihre Realisierung wird dabei in fünf (in manchen Fällen auch drei oder vier) Stufen beschrieben:
- Härtegrad 1 (H1) – als Idee/Impuls vorliegend
- Härtegrad 2 (H2) – in Konzeption/Planung
- Härtegrad 3 (H3) – in Umsetzung/operativ
- Härtegrad 4 (H4) – in Standardisierung/Verankerung
- Härtegrad 5 (H5) – abgeschlossen/Wirkung messbar
Härtegrade bilden also Stufen einer erwünschten Entwicklung ab. In komplexeren Umfeldern können auch mehr als fünf Stufen definiert werden, um Klarheit in die Situation zu bringen.
An einem Beispiel aus der Praxis kann dieses Konzept verdeutlicht werden. In einem stahlverarbeitenden Unternehmen soll die Erfüllung von Kundenanforderungen an die Oberflächenqualität von gewalzten Produkten verlässlicher und kostengünstiger geprüft werden. Im Ausgangszustand erfolgt eine personengestützte Sichtprüfung über eine Kamera.
- Idee (H1): Ein Gedanke wird formuliert, wie beispielsweise eine Lösung für ein bestimmtes Problem aussehen könnte (Automatisierung, Neuanschaffung, Standardisierung etc.). Im o. g. Beispiel kommt aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E) der Vorschlag, autonom arbeitende Inline-Bildverarbeitungssysteme in den beiden Walzstraßen zu installieren, die auf die auftretenden Oberflächenfehler trainiert werden und automatisch fehlerhafte Bereiche markieren.
- Plan (H2): Im Team aus Mitgliedern von Abteilungen, die Kenntnisse und Ressourcen für die Umsetzung der angedachten Lösung beitragen können, wird ein Konzept zur Durchführung und Bewertung eines Pilotversuchs erstellt. Im konkreten Fall werden Produktion, Instandhaltung, Qualitätsstelle, F&E, Controlling und Einkauf eingebunden, um gemeinsam mit dem Lieferanten die Vorgehensweise von Auswahl und Einkauf eines Testgerätes zur Inline-Inspektion und -Bewertung bis zur Durchführung und Auswertung eines Pilotversuchs festzulegen.
- Umsetzung (H3): Gemäß dem erstellten Plan wird ein Pilotversuch durchgeführt und anschließend bewertet, inwieweit die gestellten Anforderungen erfüllt wurden. Es wird im Beispiel geprüft, ob das Gerät die typischerweise auftretenden Oberflächenfehler verlässlich erkennt und eine für das Personal praktikable Auswertung ermöglicht. Auch Aspekte wie beispielsweise Robustheit gegenüber den Betriebsbedingungen, Inspektions- und Wartungsfreundlichkeit, Verständlichkeit der zur Verfügung gestellten Schulungen und Bedienungsanleitungen etc. kommen auf den Prüfstand.
- Standardisierung (H4): Auf Basis eines erfolgreichen Pilotversuchs und unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Budgets werden die infrage kommenden Produktionsanlagen (im verwendeten Beispiel die Walzstraßen) entsprechend umgerüstet. Zusammen mit den Prozessbeteiligten, v. a. aus Produktion, Qualitätsstelle und Instandhaltung, werden Arbeitsanweisungen sowie Inspektions- und Wartungspläne erstellt, getestet, ggf. angepasst, geschult und in gelenkte Dokumente überführt.
- Wirkung messbar (H5): Die Wirksamkeit der implementierten Lösung im Hinblick auf die im Vorfeld kalkulierten harten, d. h. in Geldbeträgen ausweisbaren Einsparungen wird durch das Controlling geprüft und bestätigt. Im vorliegenden Fall ist besonders der Zeit- und Personalaufwand für die Erzeugung des Prüfergebnisses und die daraus resultierenden Maßnahmen wie das Aussortieren fehlerhafter Walzdrahtabschnitte von Bedeutung.
Die Wirksamkeit des Konzepts fußt auf einigen entscheidenden Erfolgshebeln. So ist es maßgeblich, dass die einzelnen Stufen über aussagefähige Bewertungskriterien klar definiert und voneinander abgegrenzt werden.
Weiterhin ist es für Nachverfolgung und Steuerung der Maßnahme empfehlenswert, dass die in der Regel zahlreichen Unteraufgaben in ihren jeweiligen Härtegraden über digitale Kanban-Boards im Rahmen einer Multimaßnahmensteuerung (MMS) ausgewiesen werden.
Schließlich muss die Steuerung der Maßnahmenumsetzung in bestehende oder neu zu schaffende Management-Strukturen (z. B. Daily Stand-ups) eingebunden werden.
Mehrwert
Die Erfassung und Nachverfolgung des Härtegrades ist aufwendig. Das rentiert sich aber aufgrund zahlreicher Mehrwerte im Hinblick auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) im Unternehmen. Defizite in der Einschätzung der Zielerreichung werden vermieden, da am Ende immer eine Wirksamkeitsmessung der Aufgabenbearbeitung steht.
Durch Härtegrade können klare Ziele gesetzt werden, welche zur kontinuierlichen Verbesserung motivieren. Das Modell schafft eine gemeinsame Sprache, mit der Fortschritt und Umsetzungsgrad standardisiert kommuniziert werden können – sowohl intern als auch in der Berichterstattung.
Sie bieten eine klare und vergleichbare Darstellung von Entwicklungsstufen, wodurch eine grundsätzlich strukturierte Herangehensweise an Weiterentwicklungen mit klaren Meilensteinen gefördert wird. Während der Umsetzung können ausgewählte Schritte priorisiert werden, um Ressourcen wirksam zu koordinieren.
Härtegrade erleichtern auch die Kommunikation von Bearbeitungsständen sowie das Erwartungsmanagement in Richtung oberes Management. Der Einblick in den Bearbeitungsstand gleichzeitig laufender Aufgaben führt zu einer verbesserten Gesamtsteuerung. Maßnahmen mit höherem Härtegrad können gezielter unterstützt und gemanagt werden, während Ideen im niedrigen Härtegrad ggf. zunächst weiterentwickelt werden müssen.