Auch in Unternehmen läuft nicht alles nach Plan. Trotz sorgfältiger Priorisierung und Planung kommt es zu Abweichungen oder unvorhersehbaren Störfeuern. Externe Faktoren und limitierte Ressourcen führen dazu, dass sich nicht von vornherein alle Risiken vermeiden lassen. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! Doch ein Fatalismus oder Laisser-faire ist im unternehmerischen Kontext völlig fehl am Platz. Was für Entscheider immer an erster Stelle stehen muss: Auftretende Risiken dürfen nicht dauerhaft die Produktivität und Unternehmensleistung schmälern. Risiken zu managen, ist eine Kernaufgabe der Unternehmensführung. Sie muss Risiken bereits im Vorfeld erkennen, analysieren und Gegenmaßnahmen definieren.
Handlungsfähigkeit bewahren – zeitraubenden Aktionismus reduzieren
Am häufigsten verbleiben Unternehmen jedoch beim Beobachten und Abwarten. Sie reagieren erst ad hoc und oft, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist. Denn viele Risiken bleiben unerkannt, sie sind schlicht nicht vorhersehbar. In solchen Situationen nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern vorbereitet zu sein – das ist die große Kunst! Hier entfaltet der „Out of Control Action Plan“ (OCAP) seine Wirkung. Dieser gehört zum Instrumentarium von Six Sigma und bietet eine klare Handlungsanweisung in unternehmerischen Notfällen.
Mit Six Sigma werden auftretende Variationen sukzessiv auf ein Minimum reduziert. Aber dennoch gibt es Abweichungen, die auftreten und viel Zeit kosten. Diese verursachen einen großen Aufwand in der Organisation und haben häufig eine negative Auswirkung auf die Kundenzufriedenheit. Wenn in solchen Fällen kein klarer Handlungsplan vorliegt, muss sich das Management für jede auftretende Abweichung erneut und wiederholt eine Vorgehensweise überlegen. Die Bearbeitung ist zwangsläufig ineffizient sowie zeit- und kräfteraubend.
Vorbild Luftfahrt: mit OCAPs Chaos und Panik vorbeugen
Ein OCAP hat die Zielsetzung, die Dauer eines Ausfalls oder einer anderen Störung auf ein Minimum zu beschränken. Dafür liefert die Luftfahrt ein gutes Vorbild: Stellen Sie sich die Vorgehensweise im Cockpit eines Flugzeuges vor, wenn ein ungeplanter Vorfall eintritt. Ist beispielsweise der Zielflughafen wegen eines Stromausfalls nicht mehr anzusteuern, setzen standardisierte Abläufe ein. Sie werden „nach Schema F“ von den Piloten ausgeführt, damit das Flugzeug, samt Insassen, sicher landen kann. Eine Abweichung vom festlegten Prozedere könnte fatale Folgen haben. Unternehmen können sich mit einem OCAP in ähnlicher Weise auf Störungen und Unsicherheiten vorbereiten. Auch in Notfällen verschafft der Plan die nötige Klarheit, welche Schritte einzuleiten, welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
Solche Abläufe sind für bestimmte Situationen gesetzlich vorgeschrieben – wie beispielsweise die Evakuierung der Mitarbeiter bei einem Brand. Es sind hierbei klare Verantwortlichkeiten und Maßnahmen definiert. Die meisten Mitarbeiter haben lediglich die Verantwortung, sich ruhig, ohne Gepäck und Nutzung des Fahrstuhls, unverzüglich aus dem Gebäude zu bewegen und sich auf vordefinierten Plätzen zu versammeln. Einige Mitarbeiter haben die Aufgabe, diesen Prozess zu unterstützen, und in gelben Westen alles zu lenken. Andere Mitarbeiter haben erweiterte Verantwortlichkeiten, die klar definiert sind: Wer nimmt Kontakt mit der Feuerwehr auf, wer zieht die erforderlichen Schichtpläne, um zu erfassen, dass alle das Gebäude verlassen haben? – Die Liste ließe sich fortsetzen. Dieses Vorgehen mit klaren Verantwortlichkeiten lässt sich mit OCAP auf alle möglichen Zwischenfälle im Unternehmensalltag übertragen. Auch hierfür lassen sich bereits im Vorfeld Pläne aufstellen und Mitarbeiter trainieren. Immer verbunden mit der Frage: Was wäre, wenn …? Solche Pläne sorgen im Ernstfall dafür, dass Probleme zügig bearbeitet und gelöst werden. Gerade für die unvorhersehbaren Fälle benötigen Unternehmen definierte und trainierte Abläufe. Ein OCAP bringt Klarheit in eine unsichere Situation und sorgt für eine schnelle und effektive Handlungsfähigkeit im Eintrittsfall.
Mit FMEA die notwendigen OCAPs bestimmen
Für welche konkreten Situationen jeweils ein OCAP vorliegen soll, lässt sich nicht pauschal für jedes Unternehmen beantworten. Allerdings bietet die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) die Chance, die wichtigsten Störfaktoren zu identifizieren und zu priorisieren – sowohl auf Produkt-, Prozess- als auch auf Unternehmensebene. Denkbar ist beispielsweise ein Angebotsprozess, der Ausreißer bei der Bearbeitungszeit identifiziert. Und wenn der Prozess noch kein Six-Sigma-Niveau erreicht hat, werden sich zwangsläufig solche Variationen zeigen! Beispielsweise wenn die obere Spezifikationsgrenze von zwei Arbeitstagen nicht immer eingehalten wird. Ein OCAP definiert den Umgang mit einer solchen Eventualität und schützt vor weiterem Schaden – in diesem Fall verärgerte Kunden, die nach einer Woche des Wartens lieber bei einem anderen Unternehmen anfragen. Damit der OCAP zum Einsatz kommt, gibt es einen definierten Auslöser, ein Störsignal. In diesem Beispiel könnte das eine IT-systemseitige Meldung sein, wenn die Anfrage bereits vor zwei Tagen eingegangen ist und bislang keine weiteren Bearbeitungsschritte ausgelöst wurden.
Diese Denkweise lässt sich beliebig auf unterschiedliche Situationen ausweiten – insbesondere auf die Produktion. So beruht das Andon-Prinzip der Lean-Philosophie auf der Denkweise von OCAPs: Problem erkennen, Maßnahmen entsprechend den organisationseigenen Leitlinien ausführen, Problem effektiv und effizient beheben, zurück zur Arbeit. Genau das stellt ein OCAP sicher, nämlich dass die auslösende Situation im Alltag erkannt wird und zugleich Maßnahmen und Verantwortlichkeiten definiert sind. Hier bedarf es vieler Trainings und präziser Vorgaben. Beim Eintritt der definierten Vorfälle müssen sich alle Beteiligten automatisch in Bewegung setzen und das Richtige tun.
Auch bei Six-Sigma-Reife gehören OCAPs in jede Schublade!
Sobald ein Unternehmen sich mit Hilfe von Six Sigma verbessert, ist es möglich, viele OCAPs redundant zu machen. So kann beispielsweise ein Green-Belt-Projekt wiederkehrende Probleme abstellen. Ganz obsolet wird ein OCAP dadurch jedoch nicht! Denn die definierten Vorgehensweisen bei Unsicherheit oder Abweichung bleiben wichtig. Solche Eventualitäten werden immer wieder auftauchen, Restrisiken bleiben auch mit den besten Standards bestehen. Ganz wie am Beispiel der Vorgehensweise bei Bränden im Unternehmen beschrieben, hoffen wir, mit einem OCAP dem Chaos oder der Panik ausreichend vorzubeugen. Es ist einfach effizienter, beruhigender und sicherer, wenn alle wissen, wie zu handeln ist.