Der demografische Wandel ist bereits seit Jahren ein Schreckgespenst, vor dem sich insbesondere die deutsche Wirtschaft fürchtet. Und das zu Recht. Längst ist der Rückgang des Arbeitskräftepotentials in allen Branchen zu einem echten Problem geworden. Ein Problem, das sich auf die Produktion in der Industrie ebenso auswirkt wie auf die administrativen Bereiche. Fachkräfte sind Mangelware und das hat verschiedene Konsequenzen: Entweder gehen die Gehälter und Nebenleistungen in die Höhe oder die Arbeit wird auf die gegenwärtigen Mitarbeiter mit Überstunden verteilt – oder sie wird einfach nicht ausgeführt.

Neue Chancen bleiben liegen und Entwicklungen, die die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunft des Unternehmens absichern sollten, finden nicht mehr statt

Der demografische Wandel ist da. Die Babyboomer verlassen sukzessive den Arbeitsmarkt und werden nur zum Teil durch die Schulabgänger zahlenmäßig ersetzt. Zumal die Produktivität der neuen, jüngeren Mitarbeiter den Abgang der erfahrenen Mitarbeiter nicht sofort ausgleichen wird. Ausgebildete Arbeitskräfte könnten über Migration aus anderen Ländern hinzukommen; doch dass gut qualifizierte Personen dynamischere Standorte als den deutschen im internationalen Vergleich vorziehen, verwundert nicht.

Digitalisierung hilft nicht, um den Kern des Problems anzugehen: schlechte Prozesse!

Diese eher düstere Aussicht verführt viele Unternehmen dazu, sich der Situation hinzugeben und „das Beste daraus“ zu machen. Fatal für die Wettbewerbsfähigkeit! Oder es werden unüberlegte Digitalisierungsprojekte unternommen, in der Hoffnung, dass Automatisierung & Co. alles irgendwie schon retten werde. Doch schlechte Prozesse werden auch durch Digitalisierung nicht besser! Stattdessen wird bei solchen Unterfangen häufig viel Zeit und Geld verbrannt – mit direkter Wirkung auf die Eigenkapitalquote der Unternehmen.

Mit Lean Management Unternehmensabläufe trotz Personalmangel absichern

Doch es geht auch anders: Ansätze aus dem Lean Management bieten direkte Hebel für die Entschlackung von Prozessen und ermöglichen dadurch, dass die verkleinerte Belegschaft die Unternehmensabläufe weiterhin absichern kann. Nur effizienter und mit weniger Zeit- und Personaleinsatz. Auf dem Shopfloor nutzen viele Organisationen schon die Potentiale, die Lean Management in Sachen Effizienzsteigerung bietet; Total Productive Management (TPM) und weitere Ansätze sind in der produzierenden Industrie weit verbreitet. Process Excellence ist eine Abwandlung der Methodik, die den Blick auf die administrativen Bereiche lenkt und eben auch dort für Entlastung der Teams sorgt. Mit der stringenten Vorgehensweise von Process Excellence sind erfahrungsgemäß Entlastungen von 15 bis 30 Prozent (ja, ein Tag von 5 bis 8 Stunden in der Woche, pro Person) durchaus realisierbar.

Entschlackung von Prozessen, die freie Kapazitäten von einem Tag in der Woche pro Person möglich machen.

Unter Process Excellence ist eine klare Fokussierung auf die Reduktion von Verschwendung in den administrativen Bereichen zu verstehen. Dies bezieht sich vor allem auf das systematische Entschlacken von Aufgaben, um freie Kapazitäten zu schaffen. Im Zentrum des Ansatzes steht die Frage, ob und wie bestehende Abläufe die internen Kunden im Unternehmen bedienen. Das sind in der produzierenden Industrie die wertschöpfenden Bereiche wie die Fertigung.

Der Hebel von Process Excellence ist, die vorhandenen Prozesse zu durchleuchten und herauszufinden, wie sie sich effektiver verrichten lassen – oder in manchen Fällen komplett entfallen können

In den meisten Produktionsunternehmen sind die Strukturen historisch gewachsen und dabei nicht regelmäßig, wenn überhaupt, hinterfragt und optimiert worden. Dadurch decken Process-Excellence-Projekte häufig einen regelrechten Wildwuchs und krasse Ineffizienzen auf. In diesem Rahmen lassen sich mit einem methodischen Ansatz alle Aktivitäten beleuchten und entweder optimieren oder von der To-do-Liste der Mitarbeiter streichen.

Die Entlastungen, die Process Excellence bringt, machen sich in Unternehmen in Form von eingesparter Zeit sofort bemerkbar.

Als Messgrundlage lässt sich die Einheit Full-Time Equivalent (FTE) heranziehen. FTE stellt die Bearbeitungszeit für einen Arbeitsschritt im Verhältnis zur Wochenarbeitszeit da. Sie bietet eine einheitliche und verständliche Messlatte für verschiedene Funktionen und Arbeitszeitmodelle. Beispielsweise entspricht bei einer regulären wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden eine Aufgabe, die 7,6 Stunden dauert, 0,2 FTE. Bei identifizierten und umgesetzten Einsparungen in der Ausübung von Tätigkeiten wird genauso verfahren. Eine Aktivität, die heute acht Stunden benötigt und nach Umsetzung von Ideen lediglich drei bedarf, hat fünf Stunden eingespart. Die Einsparung wird als 0,13 FTE abgebildet. Die Summierung der eingesparten FTE zeigt die erreichte Entlastung der Organisation auf.

Die Unternehmenskommunikation muss Ängste vor dem Transformationsprozess nehmen und das Projekt eng begleiten.

Beim Stichwort FTE kochen oft die Gemüter hoch. Es gilt daher, von Anfang an der Belegschaft die Sorgen und Ängste zu nehmen, dass das Projekt mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung darin münden könnte, am Ende Mitarbeiter zu entlassen. Das ist kein Ziel von Process Excellence! Wie oben umrissen können sich Unternehmen das gar nicht mehr leisten. Vielmehr muss kommuniziert werden, dass das Projekt zur Entlastung des bestehenden Teams beiträgt und eine neue Konzentration auf essentielle Verbesserungen und Zukunftspotentiale erst wieder möglich macht.

Deshalb muss Process Excellence von einer durchdachten und stetigen Transformationskommunikation begleitet werden. Schon vor dem Roll-out tun Unternehmen gut daran, Ressourcen für die Kommunikation zur Zielsetzung und den Benefits einzuplanen. Welche Botschaften formuliert werden sollen, hängt von den jeweiligen Beteiligten ab, die sich durch eine Stakeholder-Analyse ermitteln und mit Hilfe von Empathy Maps und weiteren Werkzeugen greifbarer machen lassen. Zielgruppengerechte Storys und das Aufzeigen der Vorteile, geplant in einer Kommunikationsmatrix, begleiten die Process-Excellence-Initiative dann durch alle Phasen und sorgen für eine hohe Akzeptanz der Veränderung. Um der Zielsetzung weitere Glaubwürdigkeit zu verleihen, könnte die Geschäftsleitung an ihren eigenen Prozessen und an ihrer eigenen Produktivität in einer Art Pilotprojekt arbeiten. Vorbilder sagen mehr als Worthülsen.

Wird ein Process-Excellence-Projekt im Unternehmen ausgerollt, müssen die Mitarbeiter von Anfang an auf die Reise mitgenommen werden.

Nach Erläuterung der entsprechenden Hintergründe und Zielsetzungen kann der Prozess beginnen. Idealerweise mit einer kurzen Potentialanalyse, die anhand von Stichproben, methodischen Ausarbeitungen und Einbindung der Mitarbeiter die Möglichkeiten in der Organisation sichtbarer macht.

Damit ist der Process-Excellence-Ablauf gestartet und als Nächstes werden die Mitarbeiter zu ihren Tätigkeiten interviewt: Dabei interessiert, was tatsächlich im Unternehmen geschieht, und nicht die Inhalte aus den Stellenbeschreibungen. Neben den Tätigkeiten der Mitarbeiter und dem jeweiligen zeitlichen Aufwand werden die wichtigsten Prozesse in Swimlane-Diagrammen dokumentiert.

Eine stetige Einbindung der Mitarbeiter ist wichtig, um die notwendige Unterstützung für die Veränderung zu gewinnen

Die gewonnenen Erkenntnisse werden wiederum in Workshops mit den Mitarbeitern bearbeitet, um Ideen für Verbesserungen zu identifizieren. Durch Kreativtechniken lassen sich nicht nur die existierenden Grenzen des Möglichen ertasten, sondern auch gleich durchbrechen. Alle Ideen fließen in eine Multi-Maßnahmen-Steuerung (MMS) ein. So gehen sie nicht verloren und lassen sich für die Umsetzung priorisieren. Diese Umsetzung wird von den Mitarbeitern und Führungskräften, idealerweise mit methodischer Unterstützung durch ein KVP-Team, vorangetrieben und sichergestellt. Diese Einbindung der Mitarbeiter ist an allen Stationen des Prozesses enorm wichtig, um die notwendige Unterstützung für die Veränderung zu gewinnen und die Motivation hochzuhalten.

Nach einer Phase, in der der Fokus auf der Entlastung innerhalb jeweils einer Abteilung lag, werden im nächsten Schritt die Schnittstellen zwischen den Abteilungen durchforstet. In dieser Redesign-Phase wird nach Verschwendung bei den abteilungsübergreifenden Interaktionen gesucht und die Prozesse entsprechend optimiert. Hierzu werden die Abläufe zusammen mit allen beteiligten Bereichen bearbeitet, um sie effizienter und effektiver zu gestalten. Dies setzt erhebliche Entlastungen für die Organisation frei und erhöht im gleichen Atemzug die Zufriedenheit der Prozesskunden.

Digitalisierung ist nicht die Lösung – aber IT Solutions helfen!

Die identifizierten Maßnahmen werden ebenfalls in dem MMS-System festgehalten und entsprechend in der Umsetzung eingesteuert. Dieses digitale Steuerungssystem ist nicht das einzige IT-Element, das ein Process-Excellence-Projekt begleitet. Vielmehr gibt es zahlreiche Einsatzmöglichkeiten von IT-basierten Tools, die bei der Entschlackung von Prozessen helfen. Idealerweise werden beim Projekt von Anfang an die IT Solutions mitgedacht.

Nachdem durch verschiedene Maßnahmen Kapazitäten freigesetzt wurden, stellt sich die Frage, wie sich diese einsetzen lassen. Hier bedarf es einer aktiven Steuerung, da ansonsten die freien FTE schnell wieder mit „Alltagsaufgaben“ belegt werden. Dadurch können sie keine nachhaltige Produktivitätswirkung entfalten. Mögliche Verwendungen für die FTE sind vielfältig – zum Beispiel können Planstellen entfallen, die wegen des demografischen Wandels schwer nachzubesetzen sind. Außerdem lassen sich chronische Überstunden dadurch im Zaum halten.

Sinnvoller Einsatz der gewonnenen FTE zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen und der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen

Ziel eines Process-Excellence-Projektes sollte auch immer der Aufbau von Teams sein, die den kontinuierlichen Verbesserungsprozess vorantreiben. Die freien Kapazitäten in den Abteilungen werden in ihnen gebündelt und einzelne Personen in die Lage versetzt, in einem KVP-Team neue Aufgaben zu übernehmen. In diesem Umfeld können sich sowohl Individuen wie auch die Organisation methodisches Wissen aneignen und in der täglichen Arbeitskultur sukzessive verankern. So stellt ein KVP-Team die Weichen für eine kontinuierliche Bearbeitung von Produktivitätsherausforderungen. Das wiederum sichert Wettbewerbsvorteile und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen.