Aus Sicht vieler produzierender Unternehmen klingt es wie eine schöne Utopie: Fehler in Prozessen und deren Ursachen von Beginn an gar nicht erst aufkommen lassen. Denn Prozessfehler führen zu Mängeln an Produkten und können – im schlimmsten Fall – erheblichen Mehraufwand oder gar negative Touchpoints mit Kunden verursachen. Wie schwierig jedoch eine reaktive Herangehensweise ist, um in bestehenden Prozessen Fehler schnell zu erkennen und Aktionen zur Vermeidung ebendieser einzuleiten, ist jedem klar, der sich mit der Prozessoptimierung beschäftigt.
In bestehenden Prozessen eine Herausforderung – im Industrial Engineering eine klare Chance!
Glücklicherweise bieten sich auch Chancen, bei denen Unternehmen von Grund auf mit der Fehlervermeidung in der Produktion beginnen können. Proaktiv an der Erkennung prozessbedingter Fehler zu arbeiten, gelingt insbesondere bei der Planung neuer Fertigungsanlagen im Zuge von Produktneuentwicklungen oder aus Gründen der Leistungssteigerung. Das Problem der gestörten Arbeitsabläufe durch unruhige und störanfällige Anlagen lässt sich hier an der Wurzel packen.
Das Null-Fehler-Prinzip gehört in den Fokus jeder frühzeitigen Planung.
Dabei gilt es, nicht nur Erfahrungswissen sporadisch in die technische Weiterentwicklung einfließen zu lassen, sondern dies systematisch zu tun und dabei methodische Ansätze zu nutzen: Jidoka – sauber angewendet – geht all diese Probleme an und rückt das Null-Fehler-Prinzip in den Fokus der frühzeitigen Planung. Das bedeutet für Unternehmen, weniger Zeit mit dem aktionistischen Lösen von Problemen zu verschwenden und auf bereits aufgetretene Fehler zu reagieren. Bei Jidoka geht es um die Vermeidung oder frühe Erkennung von Fehlern.
Speziell den produktionsnahen Schnittstellenbereichen wie Industrial Engineering oder dem klassischen Werkzeugbau kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn sie können einen Großteil dazu leisten, das Kernelement von Jidoka zum Leben zu erwecken: Autonomation! Dieses Kunstwort, welches sich aus den Wörtern „autonom“ und „Automation“ zusammensetzt, beschreibt ein prinzipielles Vorgehen, da es immer dem gleichen Muster folgt:
- Maschine erkennt Fehler
- Maschine stoppt den Prozess
- Mitarbeiter setzt Sofortmaßnahme um, Maschine läuft weiter
- Mitarbeiter geht in Ursachenforschung und löst das grundlegende Problem
Anlagen werden also so konzipiert und gebaut, dass eine Fehlererkennung autonom und automatisiert abläuft und bei Auftreten des Fehlers den Prozess zum Stillstand bringt. Jidoka weist somit Industrial Engineering eine besondere Rolle zu, wenn es um die Möglichkeiten der Fehlervermeidung in der Produktion geht. Natürlich spielen darüber hinaus ausgeprägte Problemlösungs- und Umsetzungskompetenzen bei Mitarbeitern eine weitere wichtige Rolle. Jedoch kommen diese erst zum Tragen, wenn Fehler tatsächlich erkannt werden und ein Stopp der Maschinen das Eingreifen möglich macht. Dies gibt den Engineering-Bereichen eine besondere Bedeutung bei der Fehlervermeidung, da sie für die Konzeption der ersten beiden Schritte verantwortlich sind.
Doch wie genau gelingt die Umsetzung der ersten beiden Schritte, also das automatisierte Erkennen von Fehlern und das maschinengesteuerte Stoppen des fehlerhaften Fertigungsschritts?
Zunächst ist es essentiell, Prozesse einzuplanen, die dafür Sorge tragen, dass bei der Entwicklung von Produkten bereits in frühen Phasen das Engineering eingebunden wird. Das bietet die Chance, bereits in der Konstruktion neuer Anlagen oder bei der Anpassung bestehender Fertigungsstraßen die Fehlererkennung zu berücksichtigen. Systemisch werden dadurch Spezifikationen im Produktentstehungsprozess (PEP) an entsprechender Stelle als Stage-Gates eingebaut, die passiert werden müssen. Eines dieser Stage-Gates könnte die Durchführung einer Prozess-FMEA sein.
Klares Ziel: Anlagenstopp bei Abweichung!
Jidoka greift dann die identifizierten möglichen Fehlerquellen auf und hilft dabei, diese methodisch sauber in die geplanten Anlagen zu integrieren. Dabei ist das Ziel klar: Anlagenstopp bei Abweichung! Interessant ist die Tatsache, dass in den meisten Produktionsanlagen – auch bei älteren Modellen und speziell bei mehrstufigen, verketteten Prozessschritten – bereits Prüfmechanismen vorhanden sind. Diese sorgen dafür, dass fehlerhafte Produkte erkannt und direkt aus dem Prozess ausgeschleust werden. Hierfür sind Kamerasysteme, Lichtschranken, Gewichtskontrollen oder der automatisierte Einsatz von Prüflehren Beispiele, die jeder vor Augen hat. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit macht diese Vorgehensweise zunächst durchaus Sinn. Denn wenn wegen jedem fehlerhaften Produkt die gesamte Produktionslinie stillgelegt würde, wären die Kosten für Wartezeiten & Co. enorm. Das Ziel ist also nicht, die typischen Ausschussquoten zwischen 0,5 und 1,5 Prozent mit Jidoka unter die Lupe zu nehmen!
Mit der Betrachtung singulärer Ereignisse hat Jidoka nichts zu tun.
Vielmehr steht Jidoka für das Erkennen und richtige Deuten von Trendentwicklungen. Verschlechtert sich die Maßtoleranz über die letzten zehn Teile stetig? Nimmt im chemischen Trocknungsprozess der Restfeuchteanteil im Fertigprodukt über die vergangenen drei Stunden kontinuierlich zu? Diese oder ähnliche Charakteristika gilt es in die Prozessüberwachung zu integrieren. Werden solche Abweichungen aufgedeckt, ist ein Eingriff durch einen Produktionsstopp dann auch gerechtfertigt. Denn das sind Abweichungen. Und die zentrale Botschaft von Jidoka ist: Stopp bei Abweichung!
Bewusstsein schärfen: Schon im Engineering und dem Anlagenbau die Fehlervermeidung angehen!
Genau hier sind die Hebel für das Engineering und den Anlagenbau anzusetzen. Die technische Umsetzung an den Anlagen ist vielfältig denkbar: Das Möglichkeitsspektrum reicht von einfachen mathematischen Operationen in SPS-Steuerungen bis hin zu Big-Data-Analysen. Dafür muss das Bewusstsein geschärft sein, dass gerade im Anlagenbau bereits die Chance liegt, Probleme in der Produktion aktiv zu vermeiden!